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Mein Leben beim Kickern

Eigentlich kenne ich nur wahnsinnig gute Tischfußballspieler. Die Allerbeste war Susa, meine frühere Nachbarin. Sie hatte eine 1A Auge-Hand-Kombination und absolutes strategisches Geschick. Bis heute frage ich mich, wie sie es schaffte, dass der Ball geradezu an ihrem Mittelstürmer klebte, bis sie kurz antäuschte, dann gnadenlos abdrückte und das runde Hartgummi mit einem lauten Knall im Tor versenkte. Sobald wir im Sommer an den Wochenenden den Kickertisch draußen im Hof aufbauten, war sie mit an Bord. Bei unseren Turnieren repräsentierte jeder Mitspieler ein Land. Jeden Samstag eine Fußballweltmeisterschaft im Kleinen, bei uns im Innenhof. Susa, die Frau, die wir nur in der abgewetzten Kittelschürze kannten, wollte gern die feine, kleine Schweiz sein. Bei jedem unserer Wochenendturniere stellte die Schweiz die Fußballwelt auf den Kopf. Das kleine Land schlug sie alle, die großen Fußballnationen. Frankreich, England, Deutschland, Holland und ungerechterweise immer schon in der ersten Runde Brasilien, also mich.

Folgerichtig tauften wir Susa heimlich um in „Die Schweiz“. Ich mochte die Schweiz. Sehr sogar. Sie war keine Frau der Sprache, sie sagte „Birro“ statt „Büro“, und häufig sagte sie „Das kostet aber teuer.“ Sie war sehr hilfsbereit, und sie imponierte mir, weil sie unheimlich hart arbeitete. Ihr ganzer Stolz war ihre Tochter, der sie so gerne ein schönes Leben ermöglichen wollte. Susa hatte drei Jobs gleichzeitig. Frühmorgens putzte sie in einer Arztpraxis, tagsüber verkaufte sie Fleisch und Wurst in der Lebensmittelabteilung bei Karstadt und Sonntags, Mittwochs und Freitags bewirtschaftete sie am Abend die Küche in der Eckkneipe in unserem Viertel. Wie gesagt, alles nur um ihrer Tochter jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Als die junge Dame 16 wurde, mietete Susa ihr ein eigenes Apartment im Nachbarhaus und richtete es aufs Feinste ein. Doch je mehr Susa ihrer Tochter bot, desto herablassender wurde sie von ihr behandelt. Besonders dann, wenn sie Schulfreunde zu Besuch hatte. Es war spürbar, dass die Tochter sich vor ihnen ihrer Mutter schämte.

Neben ihrem ungeheuren Fleiß und ihrer Gutmütigkeit zeichnete sich Susa durch ihren grünen Daumen aus. Sie war eine wirklich begnadete Gärtnerin. Was auch immer sie in die Erde steckte, erblühte zu seltener Pracht. In der warmen Jahreshälfte ging sie immer schon frühmorgens vor der Arbeit durch ihren schönen Garten, pflückte die Himbeeren, wässerte die Blumen, strich über ihre Blätter und, wie ich vermute, sagte ihnen ein paar freundliche Worte.

Dann machte Susas Tochter das Abitur. Mit Ach und Krach, erzählte man sich, und niemand unter den Nachbarn, mich eingeschlossen, konnte seine Schadenfreude darüber richtig verbergen. Susa, die alle Einkäufe auf einem klapprigen Herrenfahrrad nach Hause transportierte und keinen Führerschein besaß, schenkte ihrer Tochter einen Audi A4, niegelnagelneu, weiß mit Schiebedach. Damit dampfte die junge Dame ab nach Berlin, um Archäologie zu studieren. Archäologie! Nach 6 Semestern wechselte sie zu Soziologie. Ob sie je ein Examen gemacht hat, weiß ich nicht. Auf jeden Fall war das Studentenleben in der großen Stadt so teuer, dass Susa sich zu Hause verkleinern musste. Bevor sie ihre Wohnung aufgab, um in einem Vorort in einem etwas herunter gekommenen Hochhaus ein Apartment zu beziehen, veranstalteten wir ein letztes Kickerturnier: das Susa-Abschiedsspiel. Wie es bei Abschiedsspielen großer Sportler Usus ist, lässt man ihre Mannschaft natürlich gewinnen. Doch Susa machte klar, dass sie sich nichts schenken lassen würde. Sie wollte es noch einmal wissen. Sie trug eine strahlend weiße Bluse und dazu Ledermanschetten an den Handgelenken, um die Griffe der Kickerstangen besser abrollen zu können. Und sie zog alle anderen Länder ab. Brasilien sogar, über diese Schmach sollte ich eigentlich den Mantel des Schweigens hüllen, mit 10:0.

Wir bekamen eine neue Nachbarin. Nachdem sie eingezogen war, rupfte sie sämtliche Pflanzen aus Susas Garten heraus. Sogar die alten englischen Rosen mussten dran glauben. Sie pflanzte hier und da ein hässliches Schilfgras, und damit alles ordentlich aussähe und kein Unkraut wüchse, wie sie uns erklärte, streute sie diese hassenswerte, dunkelbraune Substanz namens Rindenmulch auf die Beete.

Wir haben sie nie gefragt, ob sie kickert. Aber wenn, dann wäre sie Nordkorea.

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2 Kommentare

  1. 05/04/2018 / 10:10

    wunderbar geschrieben.. habe den Tag mit einem weiteren Lächeln begonnen.
    Danke!!
    „La Italia“

  2. Ursel
    Autor
    05/04/2018 / 12:06

    Danke, liebe Karen. Das freut mich sehr. Ganz herzliche Grüße nach Essen.
    Ursel

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