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London Calling: Als Deutsche auf der Brexit-Insel — ein Hausbootbesuch bei Annette Dittert

Annette Dittert arbeitet als Journalistin für die ARD. Dort hat sie über mehrere Jahre das Morgenmagazin moderiert. Ab 2001 war sie als Korrespondentin in Moskau, New York und Warschau tätig. Von 2008 bis 2015 berichtete sie als Korrespondentin aus London. Heute ist Annette Dittert, wie auch ich selbst, Deutsche auf der Brexit-Insel. Wir leben in einem Land, in das wir uns beide auf den ersten Blick verliebten — und auf dessen Zukunft wir nun mit grosser Sorge blicken. Wie hier mit uns Europäern nun umgegangen wird, ist, um es einmal klar auf den Punkt zu bringen, einfach der letzte Dreck.

Aufgrund dieser geteilten Erfahrung habe ich mich sehr gefreut, Annette Dittert über Twitter kennenzulernen – @annettedittert und @cliodiaspora, that’s us. Viel schöner aber war es, sie nun für ein Interview auf ihrem Hausboot in London, der Emilia, persönlich zu treffen, um über ihr Buch London Calling: Als Deutsche auf der Brexit-Insel, das Leben auf einem Hausboot, und ihre arte Reportage „Polen vor der Zerreißprobe: Eine Frau kämpft um ihr Land“ zu sprechen.

Interview mit Annette Dittert auf ihrem Hausboot über ihr Buch London Calling Brexit Ü40 Iknmlo Mode und Lifestyleblog

London Calling: Als Deutsche auf der Brexit-Insel

Es freut mich so sehr, Dich hier in London auf Deinem Boot zu treffen … zwei Deutsche auf der Brexit-Insel! War Brexit für Dich die Motivation, das Buch zu schreiben?

Annette Dittert: Brexit war der Aufhänger. Ich habe zwar, nachdem ich als ARD Korrespondentin aufgehört hatte, immer mal wieder Angebote bekommen, etwas über London oder mein Boot hier zu schreiben, habe das aber immer abgelehnt. Bücher über London gibt es schliesslich schon viele. Als dann aber der Brexit kam und ich hier saß und jeden Tag überlegte: “Was wird jetzt eigentlich hier?”, war das eine echte Initialzündung für das Buch. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass das eine Geschichte ist, die ich nicht nur gerne erzählen möchte sondern für mich selber verarbeiten muss. Denn auch ich habe mich natürlich, wie alle Europäer hier, plötzlich nicht mehr so wohl gefühlt. War nicht mehr so richtig zu Hause. Nicht mehr so akzeptiert. Ich habe halt, wie Du auch, alles, was hier seit dem EU Referendum passiert ist, auch sehr persönlich genommen. So diente mir das Buch auch dazu, mich selbst zu fragen, was der Brexit eigentlich bedeutet. Ob meine Liebe zu London dem standhalten kann. London hat sich, seit meiner Ankunft vor 10 Jahren, sowieso schon sehr verändert. Die Grenfell Tower Katastrophe ist ein Symbol dafür, was auch ich an London schon seit einiger Zeit nicht mehr mag: alles immer kommerzieller, immer teurer, immer stärker in Reich und Arm zerfallen. Es gibt ganz viele Stadtteile, zum Beispiel Spitalfields, die ihr Gesicht dadurch ganz verlieren. Davon erzähle ich ja auch immer wieder im Buch. Dennoch ist London für mich nach wie vor die schönste Stadt der Welt. Deshalb bin ich auch noch hier.

Es hat sich viel verändert im Land … aber wie ist es für Dich persönlich? Für mich kann ich etliche Dinge aufzählen, von schlimmsten online Beschimpfungen bis zu Freunden, die nun keine mehr sind. 

Annette Dittert: Ja, es hat sich sehr verändert, gerade persönlich. Ich habe zum Beispiel eine gute Freundin verloren, weil sie auf einmal so komische anti-deutsche Bemerkungen machte. Das Verhalten hat mich wirklich schockiert. Wir haben bis heute kein Wort mehr miteinander gesprochen. Ich sehe auch nicht, wie man das lösen oder heilen könnte, weil plötzlich eine solche Aggressivität mir als Deutscher und als Europäerin entgegen geschlagen ist. So etwas habe ich überhaupt so noch nie erlebt. Ich bin einfach noch nie zuvor in meinem Leben, nur weil ich Mitglied einer bestimmten Gruppe bin — deutsch, europäisch oder was auch immer — so angefeindet worden. Also auch teilweise in der U-Bahn, wenn ich Deutsch gesprochen habe. Das ist nicht nur mir passiert sondern auch anderen Deutschen.

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Anfeindungen

Ja, mir ist das auch mal passiert. Mitten auf der Strasse in Newcastle.

Annette Dittert: Das Wiedererwachen anti-deutscher Ressentiments sehe ich auch, wenn ich Zeitung lese. Es hat mit diesen rechten, national-populistischen Bewegungen zu tun, die es auch in Kontinentaleuropa wieder gibt. Brexit ist im Grunde nichts anderes als eine solche Bewegung. Aber auch wenn man anti-deutsche Ressentiments wieder vermehrt sieht, darf man nicht vergessen, dass der Fokus des Hasses eindeutig mehr auf Osteuropäern liegt. Ich bin hier mit vielen Polen befreundet und für sie ist es wirklich schlimm. Wenn sie auf der Strasse Polnisch sprechen oder als Osteuropäer erkannt werden, ist sofort so ein unangenehmes Schweigen. Sie fühlen sich nochmal ganz anders unwohl als wir. Viele meiner polnischen Freunde gehen jetzt nach Hause. Sie haben genug. Aber ich kenne auch deutsche Freunde, die mit ihren ganzen Familien nun zurück nach Deutschland gehen wollen. Das hat auch für mich persönlich das Lebensgefühl komplett verändert. Beruflich ist es für mich nicht so das Ding, weil ich für die ARD arbeite und noch immer viel unterwegs bin und so in vielerlei Hinsicht völlig unabhängig von Grossbritannien bin. Also existentiell steht da nichts auf dem Spiel. Aber das Lebensgefühl in meiner Wahlheimat London hat sich um 180 Grad gedreht.

Wenn ich solche Geschichten höre, stösst mir immer wieder auf, wie viele britische Politiker und Kommentatoren das alles verharmlosen oder einfach wegreden wollen. “Sowas passiert doch gar nicht” hört man ja immer wieder. Daniel Hannan hat sogar mal einen Hashtag benannt: #DidntHappen.

Annette Dittert: Nee, das ist Quatsch! Es passiert!

Aber es wird halt gerne unter den Teppich gekehrt.

Annette Dittert: Ja, wie so vieles in diesem Land. Auch so eine Sache, die ein wenig erklärt, warum wir jetzt auf den Brexit blicken. Als ich das Buch schrieb, habe ich viel gelesen und mit vielen gesprochen, und da realisierte ich so einiges. Der Brexit ist ja nicht aus dem Nichts gekommen. Wir haben hier vielleicht auch ein wenig sehr naiv vor uns hingelebt. Ein gutes Beispiel ist mein Besuch im kleinen Dorf Tissington — was man alles so niedlich fand an den Briten … eigentlich hatte es ja immer schon diesen reaktionären Kern. Ich habe das aber wie viele, vor allem viele Deutsche, immer gerne übersehen und als exzentrisch und etwas schrullig abgetan. Aber es war alles andere als das. Als ich diesmal in Tissington war, ist mir das alles im Halse stecken geblieben. Ich bemerkte, wie viele Dinge ich selbst vorher, bewusst oder unbewusst, nicht habe sehen wollen. Denn diese ganze Xenophobie und das ganze Little Englandertum, das gab es natürlich schon vorher. Es ist jetzt schlimmer, es ist jetzt sozusagen erlaubt, aber neu ist es nicht.

Zu Hause — oder Heimat?

Stimmt, sehe ich auch so. Du sprachst eben von “Wahlheimat” und sagtest, Freunde gehen “nach Hause”. Darin liegt ja auch eine interessante Frage: Was ist denn eigentlich Heimat für Dich? Ich finde das für mich immer eine ganz schwierige Frage.

Annette Dittert: Das ist ja auch ein grosses Thema im Buch. Als ehemalige Auslandskorrespondentin ist das ja schon immer so eine Sache für mich gewesen, weil man nirgendwo länger bleiben konnte. Das war auch der Grund, warum ich, als ich von New York nach London kam, ganz klar gesagt habe, dass ich hier jetzt bleibe. Aber als ich 2008 ankam, war die Atmosphäre noch ganz anders. Vom ersten Tag an habe ich mich so wohl gefühlt und dachte: das ist Heimat. Wenn es sowas überhaupt gibt für jemanden, der immer unterwegs ist. Ein Gefühl von Heimat. Das Gefühl ist nun weg. London ist mein Zuhause, gerade das Boot hier und die kleine Community drum herum. Aber ich würde nicht mehr sagen, dass es Heimat ist. Es ist mir klar geworden, dass Deutschland Heimat ist, weil es auch von den Briten gar nicht anders zugelassen wird. Das ist eine sehr schmerzhafte Erfahrung.

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Hausboot Emilia

Ja, für mich auch. Aber genug vom Brexit! Erzähl mir doch nochmal was von deinem Boot, von der Emilia. Ich finde es ja so super, mal hier zu sein!

Annette Dittert: Mein Boot ist mein Zuhause und das wird es auch immer bleiben. Ich werde es hier nie wegnehmen, auch wenn meine Freunde in Deutschland immer sagen, ich solle doch mit dem Boot zurückkommen. Aber ein englisches Kanalboot auf den Hamburger oder Berliner Kanälen — da wird es sich nicht wohlfühlen. Es gehört hierher. Und ich empfinde es auch nach wie vor so, dass ich hierher gehöre. London ist aber schon ein eigener Kosmos. Und das Boot, ja, es ist schon was anderes als eine Wohnung zu kaufen. Ich habe mir alles hier so ausgedacht, wie es ist. Wenn man so ein Boot baut, dann ist es wie ein Objekt, in das man einzieht. Dadurch, dass es so klein und intim ist, fühlt es sich an wie ein Handschuh, in den man einsteigt. Ich habe es einfach unheimlich gern. Ich kann es schwer beschreiben.

Kann ich verstehen, jetzt wo ich mal hier bin! Haben die Dänen nicht so ein tolles Wort für so ein Gefühl—hyggelig, so kommt es mir vor: wie die perfekte Definition von hyggelig. Bevor wir aufhören, lass uns doch, nach den Geschehnissen der letzten Wochen, auch noch über Polen und Deine arte Reportage sprechen. Ich war ganz erschüttert, als ich von der Hetze gegen Róża Thun und Dich hörte. 

Annette Dittert: Ja, also das ist auch was. Es ist ja nicht nur hier in Grossbritannien so, dass sich ein ganzes Land in Geiselhaft von Rechtspopulisten befindet. In Polen ist es besonders dramatisch. Auch dramatischer als der Brexit für die EU, weil Polen ja EU Mitglied ist, und die jetzige polnische Regierung sozusagen von Innen die EU zerstören oder aushöhlen will. Mein Film war ja nur eine ganz normale Reportage über eine polnische Oppositionspolitikerin. Aber was da in Polen jetzt losgebrochen ist, ist schon erstaunlich und erschreckend. Der Film wurde als anti-polnische Nazipropaganda in den Nachrichten diffamiert. Die Protagonistin, Róża Thun, hat es am allerschlimmsten. Sie wurde mit Morddrohungen überschüttet, und ist am Galgen symbolisch bei eine Demo gehängt worden. Unglaublich, was für eine Hetzpropaganda da gegen Kritiker der Regierung losgetreten wurde. Mich haben sie als Nachfolgerin von Leni Riefenstahl bezeichnet. Das Gute an dem Film ist aber wenigstens, dass nun in Westeuropa, und eben gerade auch in Brüssel, endlich klar geworden ist, wie schlimm die Zustände sind. Wer es wagt, die Regierung zu kritisieren, wird von einer ganzen Vernichtungspropagandamaschine überzogen. Um die Protagonistin mache ich mir schon manchmal Sorgen. Immerhin hat das EU Parlament nun, aufgrund seiner Rolle in der Hetzjagd, der Amtsenthebung von Ryszard Czarnecki zugestimmt. So gesehen hat der Film sehr viel bewegt.

Ja, das hat er auf jeden Fall. Und Dein Buch auch. Vielen lieben Dank für das Gespräch und die Gastfreundschaft auf der Emilia!

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